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Das Zweikörper-Problem

Das Problem von zwei Massenpunkten $m_1$, $m_2$, die mit einer potentiellen Energie der Form $U(\vert \vec{r_1}-\vec{r_2}\vert$ wechselwirken, ist von zentraler Bedeutung in der Physik. Vielleicht ist es deswegen wichtig, weil man es exakt lösen kann, ganz im Gegensatz zum Mehrkörperproblem. Exakt lösbare Probleme der Physik sind deshalb sehr wichtig, weil sie "vernünftige'' Ansätze für die Lösung komplizierter Probleme liefern, die physikalisch relevanter sind, aber nicht exakt lösbar sind. Deswegen wollen wir dieses Problem ausführlich behandeln.

Wir beginnen mit der Lagrange Funktion, die diesem Problem angemessen ist, nämlich

\begin{displaymath}
L(\vec{r_i},\dot {\vec {r_i}})=\frac{m_1}{2}\dot{\vec{r}}_1^2+\frac{m_2}{2}\dot{\vec{r}}_2^2-U(\vert\vec{r}_1-\vec{r}_2\vert)
\end{displaymath}

Die aus dieser Lagrange Funktion resultierenden BG zeigen ein kompliziertes Verhalten: die BG für $\vec{r_1}$ und $\vec{r_2}$ bilden ein gekoppeltes nicht lineares Differentialgleichungssystem, das mathematisch sehr schwierig zu lösen ist. Wir versuchen durch die lineare Kombination der Vektoren $\vec{r_1}$ und $\vec{r_2}$ die BG zu entkoppeln. Eine geeignete Linearkombination ist $\vec{r}_2-\vec{r}_1 \doteq \vec r$. Damit ist die potentielle Energie ein skalares Feld eines einzelnen Vektors . Diese Vereinfachung ist möglich, weil die potentielle Energie nur von $\vec{r}_2-\vec{r}_1$ abhängt. Durch diese Linearkombination entsteht aber in der kinetischen Energie ein gemischter Term der Form $\dot{\vec {r_1}}\cdot \dot{\vec {r}}$. Diesen gemischten Term wollen wir durch die Einführung einer weiteren Linearkombination eliminieren. Wir führen deshalb folgende Transformation in $L$ ein:

\begin{displaymath}
\left( \begin{array}{cc}
1 & -1 \\
a_1 & a_2\\
\end{ar...
... \begin{array}{c}
\vec{r}\\
\vec{R}\\
\end{array}\right)
\end{displaymath}

Mit der Wahl $a_i = \frac{m_i}{m_1 + m_2}$ erreichen wir die transformierte Lagrange Funktion

\begin{eqnarray*}
L(\vec{r},\vec{R},\dot {\vec r}, \dot {\vec R}) & = & \frac{1...
...( \frac{m_1m_2}{m_1+m_2}) \dot{\vec r}^2-U (\vert \vec{r}\vert)
\end{eqnarray*}



Der Ortsvektor $\vec {R}$ bezeichnet den Schwerpunkt (oder Massenmittelpunkt)der Massen $m_1$, $m_2$. $\vec{r}$ ist der Ortsvektor der Relativbewegung. Der Faktor $\frac{m_1m_2}{m_1+m_2}\doteq \mu $ ist die reduzierte Masse. Die Lagrange Gleichungen lauten

\begin{eqnarray*}
(m_1 + m_2)\ddot {\vec R} = 0\\
\mu \ddot {\vec r} = - \vec {\nabla U}
\end{eqnarray*}



In den transformierten Koordinaten, sind die BG für $\vec R$ und $\vec r$ entkoppelt. Die BG für $\vec R$ hat die Lösung $\vec{R}= V_0 t+R_0$, d.h. der Schwerpunkt bewegt sich auf einer Gerade mit konstanter Geschwindigkeit und beeinflusst die Relativbewegung nicht. Dies ist ein Beispiel für das Prinzip, das in der Physik als das Galilei'sche Relativitätsprinzip bekannt ist: Die physikalischen Beobachtungen innerhalb eines Systems sind unabhängig davon, ob das System ruht oder sich mit konstanter Geschwindigkeit bewegt. Beschreibt die Erde eine elliptische Bahn um die Sonne, so tut sie das, egal ob die Sonne fest am Himmel steht oder sich monoton bewegt. Die Relativbewegung ist zur dreidimensionalen Bewegung eines Einteilchensystems mit Masse $\mu$ geworden, das in einem Kraftfeld $- \vec {\nabla U}$ eingebettet ist.

Wir wollen jetzt zeigen, dass die Relativbewegung auf einer Ebene erfolgt, d.h., dass es sich um eine zweidimensionale Bewegung handelt. Wir betrachten die BG $\mu \ddot {\vec r} = - \vec {\nabla U}$, und multiplizieren vektoriell beide Seiten mit $\vec r$. Da $U= U(\vert \vec{r} \vert)$ ist, ist $\vec {\nabla}U$ parallel zu $\vec r$: die rechte Seite der BG wird $0$. Das ist offensichtlich eine Folge davon, dass die potentielle Energie nur vom Betrag von $\vec r$ abhängt und dass das resultierende Kraftfeld zentralsymmetrisch ist. Die linke Seite lässt sich als $\frac{d[\vec{r}x \mu \dot{\vec r}]}{dt}$ schreiben. Daraus ergibt sich die Gleichung

\begin{eqnarray*}
\frac{d[\vec{r}\times \mu \dot{\vec r}]}{dt} = 0\\
(\vec{r} \times \mu \dot{\vec r}) \doteq {\vec L} = Konst.
\end{eqnarray*}



Diese Gleichung besagt, dass der Vektor $\vec L$ ein Integral der Bewegung ist: der Drehimpuls. $\vec L$ zeigt während der ganzen Bewegung in eine feste Richtung. Da $\vec L$ als Vektorprodukt von $\vec{r}$ und $\dot{\vec r}$ konstruiert wurde, steht er senkrecht zu diesen beiden Vektoren. Die Bahn eines Teilchens in einem zentralsymmetrischen Kraftfeld liegt also vollständig in einer Ebene, die auf $\vec L$ senkrecht steht. Die für die Relativbewegung massgebende Lagrange Funktion kann man in Polarkoordinaten innerhalb der $xy$ Ebene schreiben:

\begin{displaymath}
L(r,\varphi)=\frac{\mu}{2}(\dot{r}^2+r^2\dot{\varphi}^2)-U(r)
\end{displaymath}

Die dazugehörigen BG sind

\begin{eqnarray*}
\frac{d}{dt}[\frac{\partial L}{\partial \dot{\varphi}}] & = & ...
...htarrow\\
m \ddot{r} & = & m r \dot{\varphi}^2 - \frac{dU}{dr}
\end{eqnarray*}



Eine naive Anwendung der Newton'schen Gleichungen hätte zu den (falschen) BG $m\ddot{r}=-U '(r)$ und $m\ddot{\varphi}=0$ geführt. Der Übergang zu Polarkoordinaten für die Beschreibung der Bahn hat zu zusätzlichen effektiven Kräften geführt (neben der ursprnglichen, zentral gerichteten Kraft): Wenn man wissen will, wie sich Abstand und Drehwinkel ändern, muss man die Gravitationskraft sowie die Zentrifugal- und Coriolis-Kraft berücksichtigen. Wir wollen jetzt die BG integrieren. $mr\ddot{\varphi}=-2m\dot{r}\dot{\varphi}$ lässt sich auch schreiben als

\begin{displaymath}
\frac{d}{dt}(mr^2\dot{\varphi})=0
\end{displaymath}

mit der Lösung $mr^2\dot{\varphi}= Konst. = \vert\vec{L}\vert \doteq L$. Diese Lösung hat eine eine einfache geometrische Deutung. Der Ausdruck $1/2 r^2 d\varphi$ stellt die Fläche des Sektors dar, der von zwei unendlich dicht benachbarten Radiusvektoren und dem dazwischenliegenden Bahnelement gebildet wird.

\includegraphics [width=6cm]{f24.eps}

Wir bezeichnen diese Fläche mit $df$ und schreiben den Drehimpuls der Masse als $2m \dot{f}$. Die Ableitung von $f$- die Flächengeschwindigkeit ist eine Konstante: In gleichen Zeitintervallen überstreicht der Ortsvektor die gleiche Fläche (Flächensatz, 2. Satz von Kepler). Einsetzen von $\dot{\varphi}= \frac{L}{mr^2}$ in der radialen BG ergibt

\begin{displaymath}
m\ddot{r}=\frac{L^2}{mr^3}-U'(r) = -\frac{d[L^2/2mr^2 + U(r)]}{dr} \doteq -\frac{dU_{eff}}{dr}
\end{displaymath}

d.h. die radiale Bewegung entwickelt sich als würde sich die Masse $m$ in einem effektiven radialen Kraftfeld befinden. Dieses Kraftfeld besteht aus der Zentrifugalkraft und der Gravitationskraft und lässt sich schreiben als die radiale Ableitung einer effektiven potentiellen Energie, die sich aus der Summe der Zentrigfugalenergie und der potentiellen Energie der Gravitation zusammensetzt. Formell ist die radiale Bewegung zu einem eindimensionalen Problem reduziert worden.

Abbildung 2.4: $U_{eff}$ als Funktion von $r$
\includegraphics [width=6cm]{f25.eps}

Daraus folgt

\begin{displaymath}
\frac{1}{2} \mu \dot {r}^2 + U_{eff}(r) = Konst. = E
\end{displaymath}

d.h. die D.G.

\begin{displaymath}
\dot {r}= \frac{2}{\mu }\sqrt{E- U_{eff}(r)}
\end{displaymath}

Abbildung 2.5: Zur definition der Wendepunkte
\includegraphics [width=6cm]{f26.eps}

Von besonderer Bedeutung sind solche Werte $r$, für welche $E=U_{eff}(r)$gilt. An diesen Punkten ist die radiale Geschwindigkeit genau 0. Das bedeutet nicht, dass die Masse $\mu$ anhält, da die Drehgeschwindigkeit, gegeben durch $L/(m r^2)$, endlich bleibt. Diese Punkte sind Wendepunkte der Bahn, wo $r$ aufhört zu wachsen und beginnt kleiner zu werden. Man kann, je nach Wert von $E$, mindestens zwei Klassen von Bahnen unterscheiden. Wenn $E=E_>$ ist, dann existiert nur eine Lösung der Gleichung. $r_>$ ist dann ein minimaler Radius, den die Bahn annehmen kann. Es existiert kein maximaler Radius - die Masse kommt aus weiter Entfernung, kehrt bei $r_>$ um und verschwindet wieder ins Nichts: die Bewegung des Teilchens ist infinit. Diesen Bahnen folgen zum Beispiel die Kometen.

Abbildung 2.6: Mögliche Bahnen im Gravitationsfeld
\includegraphics [width=5cm]{f27l.eps} \includegraphics [width=5cm]{f27r.eps}

Abbildung 2.7: Rosettenbahn
\includegraphics [width=6cm]{f28.eps}

Ist $E=E_<$ dann existiert ein minimaler $(r_{min})$ und ein maximaler $(r_{max})$ Radius: Die Bahn ist finit und verläuft vollständig in einem ringförmigen Gebiet. Das bedeutet aber nicht, dass die Bahn geschlossen ist (geschlossen bedeutet, dass nach bestimmten Zeiten die Bahn immer wieder an denselben Ort zurückkehrt). In der Tat werden geschlossene Bahnen dann und nur dann beobachtet, wenn $U(r) =1/r$ (Kepler Problem!) oder $r^2$ ist. Bei beliebigen $r$-Abhängigkeiten sind geschlossene Bahnen äusserst selten; stattdessen hat man sog. Rosettenbahnen. Die Zentrifugalbarriere ($L\neq 0$)sorgt im Allgemeinen dafür, dass die Masse niemals zum Mittelpunkt des Feldes gelangt, auch dann nicht, wenn das Feld anziehend ist. Man kann zeigen, dass die geschlossenen Bahnen beim Kepler Problem Ellipsen sind. Dies steht in Einklang mit den Beobachtungen (1. Satz von Kepler). Die Sonne befindet sich auf einem Fokus der Ellipse.
Die nicht geschlossenen Bahnen ($E>0$) sind Hyperbel.

Eine spezielle Bahn liegt vor, wenn $E$ gleich dem Minimum der effektiven potentiellen Energie ist. Dann ist $r_{min}=r_{max}=r_0$. Die Bahn ist in diesem Spezialfall ein Kreis, $\dot{r}=0$. Es gibt keine Corioli Kraft, so dass auch $\ddot{\varphi}= 0$ ist. Die Drehgeschwindigkeit ist dann eine Konstante, nämlich $L/(2m r_0)$. Da die Kreisbahn einem Minimum der radialen potentiellen Energie entspricht, summieren sich die radialen Kräfte exakt auf Null.


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Kraeutler Vincent
2000-05-30