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Das Hamilton-Prinzip
Leider benötigt die Formulierung der Bewegungsgleichungen - wie alle Gesetze der Physik -
einen gewissen Grad an Abstraktion. Diese Abstraktion ist, neben der Beobachtung,
eine weitere Eigenschaft, die die Physik kennzeichnet.
Abstraktion bedeutet oft die Einführung von Hilfsgrössen,
die keinen unmittelbaren experimentellen Zugang haben und deshalb eher
mathematischer Natur sind.
Seit den Arbeiten von R.P. Feynman (wie Newton und Einstein
einer der Grossen der Physik) wissen wir, dass eine allgemeine Methode,
physikalische Gesetze zu formulieren, im Prinzip der kleinsten Wirkung
( principle of least action) liegt.
Dieses Prinzip wurde von W.R. Hamilton in der Mechanik 1823 eingeführt, und erlaubt, die Bewegungsgleichungen aufzustellen.
Die für seine Formulierung benötigten abtsrakten Grössen wollen wir anhand des Experimentsvon Galileo einführen. Gegeben
sei ein Massenpunkt , der sich auf einer Höhe zur Zeit befindet.
Lässt man fallen, so verringert sich seine Höhe, während seine Geschwindigkeit
gleichzeitig zunimmt. Zur Zeit besitzt aus sich heraus (dadurch dass er auf einer bestimmten Höhe ist)
die Fähigkeit, Geschwindigkeit zu gewinnen.
Diese Fähigkeit drücken die Physiker mit
dem Begriff der potentiellen Energie aus. Die potenzielle Energie ist eine skalare Grösse, d.h.
sie kann nur eine Funktion von
sein. Die einfachste Wahl für im Galileo Experiment ist
, wobei wir später bestimmen. Mit dieser Wahl drücken wir
die Tatsache aus, dass je höher liegt, die Geschwindigkeit dementsprechend zunehmen kann,
bevor er auf die Erde trifft. Wir könnten auch weitere Potenzen von berücksichtigen (das wäre sogar richtiger,
wie wir später zeigen werden). Wir wollen aber sehen, ob dieser einfache lineare Ansatz genügt,
um den Fallvorgang zu beschreiben. Die einfachste skalare Grösse, die man mit einem Vektor bilden kann, ist
, sodass die Energie, die mit der Geschwindigkeit assoziert ist,
sein muss.
Wir werden später sehen, dass die einfachste Wahl, die sich anbietet -
- falsch ist: die niedrigste
Potenz, die mit den Experimenten in Einklang ist,
ist
, wobei wir seit Einstein wissen, dass auch diese Wahl nur eine Näherung für , mit
( Lichtgeschwindigkeit m/sec) ist. Durch die Einführung der abtstrakten Begriffe
und
sind wir imstande, das Hamilton Prinzip zu formulieren. Dem Massenpunkt ordnen wir die Lagrange
Funktion zu:
die im Fall vom Galileo Experiment zu
wird.
Der Begriff des Feldes stellt ein fundamentales Konzept in der Physik dar. Man unterscheidet zwischen
Skalarfeldern und Vektorfeldern. Ein Skalarfeld
ist eine skalarwertige Funktion
dreier unabhängiger Variablen, wobei sich die Zahl drei auf die Dimension unseres Raumes bezieht.
Beispiel: Wir betrachten die Funktion
. Graphisch stellt man solche
Felder durch 2-dimensionale Schnitte dar, in denen die Flächen
(Äquipotentialfläche)
als Höhenlinien erscheinen. Der Abstand der Linien enstpricht dabei gleichen Wertunterschieden der Konstanten.
Beispiel: Die Lagrange Funktion des Galileo Experiments kann man als zweidimensionales Skalarfeld darstellen.
Ein Vektorfeld ordnet jedem Punkt im Raum eine vektorwertige Funktion
zu.
Beispiel: Das Gravitationsfeld eines Masssenpunktes ist gegeben durch
.
Graphisch lassen sich Vektorfelder durch 2-dimensionale Schnitte darstellen, in denen die Flächen konstanter
Feldstärke
als Höhenlinien erscheinen, an denen man das Feld lokal durch
einen Vektorpfeil charakterisiert. Vektorfelder kann man auch mittels Feldlinien darstellen, wobei das Feld tangential
zur Feldlinie verläuft. Die Dichte der Feldlinien ist dann ein Mass für die Stärke des Feldes.
Abbildung 1.9:
Graphische Darstellung eines Skalarfeldes
|
Abbildung 1.10:
Graphische Darstellung von
|
Abbildung 1.11:
Graphische Darstellung eines Vektorfeldes
|
Abbildung 1.12:
Konstruktion zur Berechnung von (links) und graphische Deutung des Gradienten (rechts)
|
Für Skalarfelder kann man den Begriff der partiellen Ableitung einführen:
(und ähnlich für ). Damit lässt sich die räumliche Änderung der Skalarfelder beschreiben.
Wir betrachten
zwei Punkte und , die durch eine kleine Strecke voneinander getrennt sind.
Die Änderung
ist gegeben durch die folgende Summe:
wobei
der Gradient von und das totale Differential des Feldes sind. Der
Gradient lässt sich deuten, indem man in die Richtung wählt, so dass in dieser Richtung ist. Aus der
Gleichung
folgt, dass
senkrecht auf steht. Anderseits definiert Flächen , so dass
senkrecht auf den Äquipotentialflächen steht. Sein Betrag ist ein Mass für die Stärke der Änderung von ,
wenn man senkrecht zu den Äquipotentialflächen fortschreitet.
Für ein Vektorfeld kann man den Begriff des Linienintegrals einführen (in der Physik spricht man von ''Arbeit'' oder ).
Die Arbeit, die wir aufbringen müssen, um einen Gegenstand von Punkt zu
Punkt entlang des Wegs zu bewegen, ist definiert als Wegintegral der Kraft
mit
. Das Inkrement ist ein Vektor,
die Arbeit hingegen ist aufgrund des Skalarproduktes ein Skalar.
Abbildung 1.13:
Zur Definition der Arbeit einer Kraft
|
ist hierbei die Bezeichnung für die Raumkurve zwischen dem
Anfangspunkt
und dem Endpunkt
.
Wir geben nun eine Möglichkeit an, das Linienintegral explizit zu berechnen.
Dazu zerlegen wir das Vektorfeld in seine kartesischen Komponenten und
setzen dies in das Integral ein:
.
Die kartesischen Komponenten sind noch eine Funktion des Ortes, d.h.
mit , und .
Für das Integral benötigen wir die Komponenten des Vektorfeldes entlang
der Raumkurve in Abhängigkeit des Parameters . Wir erhalten dies, indem wir
die entsprechenden Komponenten der Raumkurve in
und einsetzen. Für schreiben wir
.
Für das Arbeitsintegral ergibt sich durch Einsetzen
Damit übersetzen wir das Linienintegral in die Summe gewöhnlicher eindimensionaler Integrale.
Beispiel. Das Vektorfeld und die Raumkurve seien gegeben durch
und
. Die von der Kraft geleistete Arbeit zwischen den Zeiten ist
Falls
, heisst das Vektorfeld konservativ. Für solche Felder, welche Kraftfelder sind, gilt
Somit ist
:
Wegintegrale über konservative Felder zwischen den Punkten und sind unabhängig vom
explizit gewählten Weg, und sind nur vom Wert des skalaren Feldes am Anfangspunkt und am Endpunkt
abhängig.
Nach dem Hamilton Prinzip verläuft die Bewegung eines mechanischen Systems von einem gegebenen Anfangspunkt zur
Zeit zu einem gegebenenm Endpunkt zur Zeit derart, dass die Wirkung
minimal ist (Prinzip der kleinsten Wirkung).
ist ein Funktional,
das allen möglichen Bahnen
eine reelle Zahl zuordnet - den Wert des Integrals. Eine Möglichkeit,
dieses Prinzip zu benutzen, um die physikalische Bahn zu finden, ist die Auswahl vieler Bahnen, unter welchen minimalisiert
wird. In diesem Sinne ist das Hamilton Prinzip ein Variationsprinzip, d.h. man versucht durch variieren der Bahn jene zu finden,
die minimiert. Es ist heutzutage nicht ungewöhnlich, dass viele Probleme der Naturwissenschaft (inklusive der Biologie) als
Variationsprinzip formuliert werden. Damit wird das Problem der Suche nach dem Minimum eines geeigneten Funktionals reduziert -
ein ideales Terrain für die heutigen Supercomputer. Oft wird die Suche nach der Lösung folgendermassen gestaltet: man erzeugt
eine Schar von Funktionen, die aus irgendeinem Grund ''physikalisch'' sein könnten. Diese Funktionen werden geeignet parametrisiert
und es werden solche Parameter gesucht, die minimalisieren. Die so ermittelte Funktion ist dann eine Möglichkeit für die korrekte Lösung,
wobei ein Funktional oft viele Minima besitzt, so dass die Suche nach dem absoluten Minimum weitere Optimierungsschritte erfordert.
Wir wollen diesen möglichen Lösungsweg am Galileo-Experiment illustrieren. Wir beginnen
mit der Vermutung (um ein Variationsproblem vernünftig zu lösen, muss man eine ''Vermutung'' über die mögliche Bahn
haben), dass
ist. ist hier der sogenannte Variationsparameter, der so gewählt werden muss,
damit minimal wird. Damit ist
Die Bahn wird variiert, aber die Randpunkte sollen fest sein. Wir setzen und ein. Die Wirkung
berechnet über die möglichen Bahnen
zwischen diesen festen Randpunkten ist
bestimmen wir als Lösung der Gleichung
, d.h.
.
Der Vergleich dieses theoretischen Resultats mit dem experimentellen Resultat
erlaubt, das
Verhältnis des bis jetzt unbekannten Parameters und zu bestimmen:
. Mit Hilfe dieses Prinzips haben wir eine eindeutige Voraussage erlangt, die mit dem
Experimemt verifiziert werden kann: legen wir fest, dann ist auch festgelegt. Mit der Wahl
, müssen wir zu umwandeln, damit das Hamilton Prinzip mit dem Experiment
konsistent ist. Damit kennen wir auch die genaue Form der Lagrange Funktion für das Galileo Experiment.
Wir hätten anders argumentieren können. Angenommen die Koeffizienten und
seien bekannt, dann besagt unser Variationsprinzip, dass von unabhängig ist.
Wir haben damit eine Voraussage produziert, die man experimentell testen kann.
Ist der Test erfolgreich, so freuen wir uns, dass aus einem so abstrakten Prinzip direkt eine
solch konkrete (und gewissermassen überraschende) experimentelle Tatsache folgt.
Ein zweiter möglicher Weg zur Lösung des Variationsprinzips von Hamilton führt zu den Bewegungsgleichungen.
Zum Studium diseses zweiten Wegs wollen wir zunächst Variationsprobleme im Allgemeinen diskutieren.
Gegeben sei die integrierbare Funktion
Wir suchen eine Funktion , so daß das Funktional
einen Extremalwert annimmt. Angenommen,
sei eben diese Funktion, die ¨zu einem Minimum macht. Dann wächst wenn durch eine Funktion der Form
ersetzt ist. ist eine beliebige differenzierbare Funktion, die
an den Endpunkten verschwindet.
und heisst Variation der Funktion .
Abbildung 1.14:
Die Variation von
|
Die Änderung von beim Einsetzen von
ist die Variation des Funktionals :
Die Entwicklung dieser Differenz nach Potenzen von und im Integranden beginnt mit Gliedern erster
Ordnung. Die notwendige Bedingung, dass extremal ist, ist das Verschwinden dieser Glieder. Nach Ausführung der
Taylor Entwicklung erhalten wir
Wenn man berücksichtigt, dass
ist, dann lässt sich der zweite Integrand partiell integrieren:
Da die Endpunkte fest sein sollen,
verschwindet der ausintegrierte Term, und die Extremalbedingung
lautet
Da eine beliebige Funktion sein kann, ist diese Gleichung
allgemein nur dann erfüllt, wenn
ist.
Diese Beziehung heißt Euler-Lagrange-Gleichung. Sie
stellt eine notwendige Bedingung für einen Extremwert des Integrals
dar.
Wir kehren zurück zum Hamilton Prinzip. Hierbei wird die Zeit als
Koordinate nicht variiert. Das System durchläuft einen Bahnpunkt und
den dazugehörigen variierten Bahnpunkt zur gleichen Zeit. Es gilt also .
Ausgehend vom Integral
führen wir die
Variation durch. Die Variation einer Bahnkurve beschreiben wir durch
, wobei
an den Endpunkten verschwinden soll:
. Da die Zeit nicht variiert wird, folgt
wobei die -te Koordinate darstellt. Wegen
, liefert die
partielle Integration des zweiten Summanden
Da an den Endpunkten (Integralgrenzen) verschwindet,
erhalten wir für die Variation des Integrals
Das Integral verschwindet nur dann, wenn der Koeffizient eines jeden
verschwindet. Daraus folgen die Lagrange-Gleichungen der Mechanik:
. Das sind die Bewegungsgleichungen. Sie sind eine
Folge des Variationsprinzips, so wie alle Gleichungen der Physik eine Folge eines Variationsprinzips
sind (oder sein sollten).
Für einen Massenpunkt mit der Lagrange Funktion
, bekommen wir
Diese wurden, in dieser Form, von Newton gefunden. Deswegen heissen die Lagrange Gleichungen eines
Massenpunktes in kartesischen Koordinaten auch Newton Gleichungen. Wichtige Fragen der Physik wurden
durch die explizite Lösung dieser Gleichungen beantwortet.
Die BG sind Differentialgleichungen (DG). Sie lassen sich eindeutig lösen,
wenn die Anfangsbedingungen bekannt sind. Die Struktur dieser Differentialgleichungen suggeriert,
dass zwei Angaben als Anfangsbedingungen notwendig und hinreichend sind:
Ort und Geschwindigkeit zu einer bestimmen Zeit.
Die Terme in den Newton Gleichungen haben folgende Bedeutung: Die zweite zeitliche Ableitung von
ist die Beschleunigung von , und beschreibt
die Änderung der Geschwindigkeit. Die negative Ableitung der potentiellen Energie ist die
Kraft, die für die Änderung der Geschwindigkeit verantwortlich ist.
Die Beschleunigung wird in den Einheiten gemessen, die Kraft misst man in
. Die Energie ist deshalb
.
Am Beispiel von Galileo nehmen die BG eine besonders einfache Form an.
Die potentielle Energie, die der Ursprung der Kraft ist, ist bekannterweise .
Die Kraft ist
. Die Bewegungsgleichungen lauten
und deren Lösung, mit
:
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Kraeutler Vincent
2000-05-30