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Einführung
Eine der wichtigsten Erscheinungen der Natur ist die Bewegung.
Bewegt sich ein Objekt über Abstände, die viel grösser als seine Ausdehnung sind,
so kann dieses Objekt als Massenpunkt betrachtet werden, d.h. ein geometrischer Punkt , der eine
Masse hat, wobei das einzige Merkmal ist, das Massenpunkte voneinander unterscheidet (Einheiten für die Masse: ).
Im Fall eines Massenpunktes kann dann
seine endliche Ausdehnung für die Beschreibung
der Bewegung vernachlässigt werden. Beispielsweise kann man für die Beschreibung
der Umlaufbahn der Erde um die Sonne die Ausdehnung der Erde vernachlässigen -
will man hingegen erklären, warum es Tag und Nacht gibt, muss man berücksichtigen,
dass sich die Erde als Konsequenz ihrer endlichen Ausdehnung um ihre eigene Achse dreht.
Die Lage des Massenpunktes in Bezug auf ein geeignetes Koordinatensystem beschreibt
einen Ortsvektor , die Bahn von eine Vektorfunktion , wobei der reelle Parameter
die Zeit ist. (Einheiten für
: )
Verschiedene Grössen in der Physik, wie zum Beispiel die Grundgrössen Länge, Masse
und Zeit, können im Rahmen der Newtonschen Mechanik durch eine einzige reelle
Zahl spezifiziert werden. Diese Zahl kann dabei von dem Einheitensystem abhängen,
in dem wir die Messung vornehmen. Solche Grössen bezeichnen wir als Skalare. Ein
Skalar wird durch einen Buchstaben angegeben, z.B. für die Zeit und für die
Masse .
Abbildung:
Vektor (links).
(rechts)
|
Andere Grössen in der Physik, wie die Ortsangabe oder die Geschwindigkeit bedürfen
zu ihrer vollständigen Spezifikation der Angabe eines Betrages und einer
Richtung. Solche Grössen nennen wir Vektoren und kennzeichnen sie durch einen
Pfeil über den Buchstaben, um die Bedeutung der Richtungsangabe hervorzuheben.
So schreiben wir beispielsweise für den Ortsvektor . Ein Vektor verbindet zwei Punkte, beispielsweise
bezeichnen wir den Betrag oder die Länge eines Vektors mit oder .
Wir wollen nun die einfachen Gesetze der Vektoralgebra behandeln.
Zwei Vektoren und sind gleich, wenn sie den gleichen
Betrag und die gleiche Richtung aufweisen unabhängig von ihrem
Anfangspunkt.
Einen Vektor, der die gleiche Länge wie der Vektor aufweist,
aber in die entgegengesetzte Richtung zeigt, bezeichnen wir mit .
Zwei Vektoren und
werden addiert, indem man durch
Parallelverschiebung den Fusspunkt des einen Vektors mit der
Pfeilspitze des anderen Vektors zur Deckung bringt.
Abbildung 1.2:
Addition von Vektoren (links) und Kommutativität (rechts)
|
Der Summenvektor
beginnt am Fusspunkt von und reicht bis zur Spitze von
.
entspricht der Diagonalen des von und
aufgespannten Parallelogramms.
Für die Vektorsumme gilt die
Kommutativität
Entscheidend für die Kommutativität ist die freie Parallelverschiebbarkeit der
Vektoren.
Assoziativität:
Wiederum überzeugt man sich aufgrund einer graphischen Veranschaulichung sofort
von der Richtigkeit dieser Behauptung.
Abbildung 1.3:
Assoziativität
|
Die Differenz zweier Vektoren und oder die Vektorsubtraktion
ist definiert als
Subtrahiert man von sich selbst, so ergibt sich der Nullvektor
Der Nullvektor hat den Betrag ; er ist richtungslos. Für alle Vektoren gilt
Unter dem Produkt eines Vektors mit einem Skalar , wobei
eine reelle Zahl ist, versteht man einen Vektor, der die gleiche Richtung
aufweist wie und den Betrag
hat.
Abbildung 1.4:
Multiplikation mit einer Zahl
|
Hierbei gilt das Distributivgesetz, d. h.
sowie das Assoziativgesetz
Ein Einheitsvektor ist ein Vektor mit der Länge 1. Aus jedem Vektor
lässt sich durch Multiplikation mit dem Kehrwert seines Betrages ein
Einheitsvektor in Richtung von konstruieren.
und damit auch
mit
Einheitsvektoren werden in der Regel mit den Buchstaben oder
bezeichnet.
Wir fassen die Gesetze der Vektoralgebra zusammen
-
Kommutativgesetz der Addition
-
Assoziativgesetz der Addition
-
Assoziativgesetz der Multiplikation
-
Distributivgesetz
-
Distributivgesetz
Bislang haben wir Ortsvektoren als einen Spezialfall der Vektoren diskutiert.
Der Zusammenhang mit dem abstrakten mathematischen Vektorbegriff ist leicht
herstellbar. Die Gesamtheit der Vektoren bilden einen linearen Vektorraum
über dem Körper der reellen Zahlen . Es werden die folgenden Axiome erfüllt:
- Zwischen zwei Elementen
ist eine
Verknüpfung (Addition) definiert
mit
-
- Nullelement:
für alle
- Inverses: Zu jedem
gibt es ein
so daß gilt
-
(Kommutativität)
- Multiplikation mit Elementen
mit
-
, (Distributivität)
-
(Assoziativität)
- Es gibt ein Einselement , so dass gilt
für alle
Skalarprodukt von Vektoren.
Wir haben bisher die Multiplikation von Vektoren mit Skalaren betrachtet. Jetzt
wenden wir uns der Multiplikation von Vektoren zu. Hierbei werden wir zwei
unterschiedliche Typen von Produkten von Vektoren kennenlernen, das
Skalarprodukt (inneres Produkt) und das Vektorprodukt (äusseres Produkt).
Als Skalarprodukt zweier Vektoren und
bezeichnet man den folgenden Skalar:
wobei den Winkel zwischen den Vektoren und
kennzeichnet.
Abbildung 1.5:
Skalarprodukt
|
Anschaulich handelt es sich um das Produkt aus der Länge des ersten Vektors mit
der Projektion des zweiten Vektors auf die Richtung des ersten. Offensichtlich
gilt
Basierend auf dieser Einsicht bezeichnen wir zwei Vektoren und als orthogonal
zueinander, falls
Eine wichtige Eigenschaft des Skalarprodukts betrifft den Betrag eines Vektors.
Wegen
gilt
Damit können wir schreiben
Für den Einheitsvektor haben wir
Ein Vektorraum, in dem ein Skalarprodukt definiert ist, heisst unitärer
Vektorraum.
Einem Produkt von zwei Vektoren können wir jedoch auch einen Vektor zuordnen.
Das Vektorprodukt (äusseres Produkt, Kreuzprodukt) von zwei Vektoren und
führt zu einem Vektor
Abbildung 1.6:
Vektorprodukt
|
Der Vektor hat folgende Eigenschaften:
-
wobei wieder der von und eingeschlossene Winkel
ist. Der Betrag von , also , entspricht dem Flächeninhalt des von
und aufgespannten Parallelogramms.
- steht senkrecht auf der von und aufgespannten
Ebene.
und bilden ein Rechtssystem.
Wir wollen nun einige wichtige Eigenschaften des Vektorproduktes diskutieren.
- antikommutativ:
-
Für kolineare Vektoren gilt
, da
, und somit verschwindet das Kreuzprodukt.
- distributiv:
- nicht assoziativ
- bilinear
Wir wollen nun einige Eigenschaften von Basisvektoren näher beleuchten. Wir
stellen den Vektor durch den Einheitsvektor dar, um
Betrags- und Richtungsangabe etwas zu trennen
Zwei Vektoren und mit der selben Richtung heissen
kolinear. Für sie lassen sich reelle Zahlen
finden, die die Gleichung
erfüllen. und sind linear abhängig. Damit können wir umgedreht
folgende Definition vereinbaren:
Vektoren
heissen
linear unabhängig, falls die Gleichung
nur durch
erfüllt werden kann. Andernfalls heissen sie linear abhängig.
Ferner gilt die Definition: Die Dimension eines Vektorraumes ist gleich der
maximalen Anzahl linear unabhängiger Vektoren.
In einem -dimensionalen Vektorraum bildet jede Menge von linear unabhängigen
Vektoren eine Basis, d.h. jeder beliebige Vektor dieses Raumes lässt sich als
Linearkombination dieser Vektoren beschreiben.
Besonders bedeutsam als Basisvektoren sind Einheitsvektoren, die paarweise
orthogonal zueinander sind. Man spricht in diesem Fall von einem
Orthonormalsystem
Damit gilt
mit dem Kronecker-Symbol
Ein Orthonormalsystem, das gleichzeitig Basis des Vektorraumes ist,
bezeichnet man als vollständig. Für einen beliebigen Vektor
gilt dann
Die sind die Komponenten des Vektors bezüglich der Basis
. Beispielsweise bilden die kartesischen Basisvektoren
und ein vollständiges Orthonormalsystem des
. Die Komponentenschreibweise erlaubt eine gebräuchliche Darstellung des
Vektors als Spaltenvektor:
oder als Zeilenvektor:
Für den dreidimensionalen euklidischen Raum können wir somit explizit schreiben
oder auch
Mit dem vollständigen Orthonormalsystem können wir auch den Betrag eines Vektors
auswerten. Es ist
Für die Richtungskosinusse erhalten wir mittels der kartesischen Komponenten
mit
Damit folgt sofort
Ferner bekommen wir
Auch das Skalarprodukt lässt sich mit dem vollständigen Orthonormalsystem leicht
auswerten. Es ist
Wir studieren jetzt Vektorprodukte mit orthonormalen Basisvektoren, die ein
Rechtssystem bilden. Es ist
aber zum Beispiel
und
. Multiplizieren wir den resultierenden Vektor
wieder skalar mit , so folgt
ist das Levi-Civita Symbol oder der sogenannte total
antisymetrische Tensor dritter Stufe. Es ist also
Mit diesem Symbol lassen sich Vektorprodukte der Basisvektoren zusammenfassend
formulieren:
Für allgemeine Vektorprodukte gilt entsprechend
mit der abkürzenden Schreibweise
oder ausführlich
Das Kreuzprodukt lässt sich auch leicht mit Hilfe der Determinantenschreibweise
auswerten. Ein rechteckiges Schema von Zahlen wird Matrix genannt.
Der erste Index des Koeffizienten gibt die Zeile an, der zweite die Spalte. Für
den Fall, dass ist, spricht man von einer quadratischen Matrix. Dieser
Matrix lässt sich ein Zahlenwert zuordnen, der Determinante genannt wird. Für
die Dimensionen , und lässt sich dieser Wert folgendermassen auswerten
Mit Hilfe der Determinantenschreibweise können wir das Vektorprodukt auch formal
auswerten durch
Dies ist identisch mit dem bereits abgeleiteten Resultat.
Wird jedem Wert einer skalaren Variablen ein Vektor zugeordnet, dann heisst
Vektorfunktion der skalaren Variable . Trägt man in einem festen Punkt an, dann liegen die Endpunkte
von auf einer Raumkurve, die Trajektorie oder die Bahnkurve des Massenpunktes .
Abbildung 1.7:
Bahnkurve eines Massenpunktes
|
Ein wichtiger Begriff ist die Ableitung derartiger vektorwertiger Funktionen. Wir betrachten zu verschiedenen
Zeiten und und bilden den Differenzvektor
. Dies erlaubt die
Geschwindigkeit als Grenzübergang zu definieren:
In einem zeitunabhängigen orthonormalen Basissystem gilt
, kurz
und
(sog. kartesische Koordinaten). Ein Massenpunkt in einem euklidischen Raum hat dementsprechend 3 Freiheitsgrade, d.h. seine Lage
ist durch die Angabe von 3 Koordinaten eindeutig festgelegt.
Es gelten die folgenden Ableitungsregeln
Höhere Ableitungen einer Vektorfunktion lassen sich entsprechend definieren. Für analytische Vektorfunktionen gilt die Taylor Entwicklung um :
Die Integration von vektorwertigen Funktionen erfolgt auch komponentenweise:
bei der konkreten Lösung physikalischer Probleme ist die Wahl geeigneter Koordinaten ein sehr wesentlicher Lösungsschritt.
Benutzt man kartesische Koordinaten, dann betrachtet man sozusagen als die Ecke eines Parallelepipeds. Man kann
sich aber auf einer Kugeloberfläche (Zylinderoberfläche) vorstellen: dann benutzt man Kugelkoordinaten( Zylinderkoordinaten):
Abbildung 1.8:
Kugelkoordinaten (links) und Zylinderkoordinaten (rechts)
|
Zylinderkoordinaten in der Ebene heissen auch Polarkoordinaten. Kugel-und Zylinderkoordinaten sind ein Beispiel von
krummlinigen Koordinaten. Mit einer geeigneten Parametrisierung
kann man die
krummlinigen Koordinaten dazu benutzen, den ganzen euklidischen Raum als eine aufeinanderfolgende
Sequenz von Raumflächen zu decken.
Der direkteste Weg, die Bewegung von zu erfassen, ist die Messung
von über ein gewisses Zeitintervall. Dadurch lässt sich vielleicht ein
Gesetz erkennen, mit dessen Hilfe man den weiteren Verlauf der Bewegung voraussagen kann.
So haben Naturwissenschaftler bis und mit Galileo Galilei gearbeitet.
Durch unzählige Beobachtungen hatte man ein sehr genaues Bild, z.B. der Dynamik der Planeten
und der Sterne (fast so genau wie unseres) erlangt, und konnte damit schon Begriffe wie die
jährliche Periodizität der Erdbewegung um die Sonne formulieren.
Das Experiment von Galileo auf dem Turm von Pisa ist in diesem Sinne ein Merkmal
in der Geschichte der Physik: Er lässt eine Kugel aus einer Höhe fallen, misst ihre
Lage als Funktion der Zeit und schliesst auf ein -Gesetz:
.
Galileo war danach imstande, die Position der Kugel zu jeder Zeit anzugeben.
Im Prinzip könnte man auf diese Art alle wichtigen Bewegungen der Natur erfassen.
Dank Sir Isaac Newton wissen wir jedoch, dass hinter der Vielfalt von
Bewegungen noch fundamentalere Gesetze existieren, anhand derer die Bahn von im Prinzip
voraussehbar ist, wenn nur zu einem bestimmten Zeitpunkt Ort und Geschwindigkeit
bekannt sind. Das vereinfacht natürlich das Leben des Physikers: Er muss nicht jeden mühsam verfolgen,
um ein empirisches Gesetz zu formulieren. Eine einzige Angabe (
) genügt.
Diese Angabe nennt man Anfangsbedingungen, die Gesetze, die die Bewegung beschreiben,
nennt man Bewegungsgleichungen.
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Kraeutler Vincent
2000-05-30