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Die lineare schwingende Kette

Mit unserem mechanischen Modell konnten wir die Schwingungen von einfachen zweiatomigen Molekülen erfassen, die entlang einer Koordinate stattfinden. In diesem Modell wurden die Bestandteile der Moleküle durch eine "Feder" gekoppelt, mit der Federkonstante $k = U''(x_0)$. Wir wollen jetzt mit dem gleichen Federmodell versuchen, Kristallschwingungen zu beschreiben. Dazu betrachten wir entlang der $x$-Koordinate eine lineare Kette von $N$ Atomen der Masse $m$, die paarweise mit der Federkonstante $k$ gekoppelt sind. Wir bezeichnen als $u(n) \doteq x_n-x_{n0}$ die Abweichung der $n-ten$ Masse aus der Ruhelage $x_{n0}\doteq n\cdot a$, wobei $a$ die Gitterkonstante ist.

Abbildung 4.5:
\includegraphics [width=12cm]{f414.eps}

Die Lagrange Funktion $L(u(1),....,u(n))$ dieses Systems lautet

\begin{displaymath}
\sum_{n}1/2 m \dot u(n)^2 - \sum_{n}[1/2 k (u(n)-u(n-1))^2 + 1/2 (u(n)-u(n+1))^2]
\end{displaymath}

Die BG für die $n-te$ Masse lautet

\begin{displaymath}
m\ddot u(n) = k[u(n-1)+ u(n+1)] - 2ku(n)
\end{displaymath}

Da die Auslenkungen $u(n\pm1)$ in der BG für das $n-te$ Atom auftreten, bilden alle BG ein System von $N$ gekoppelten DG. Die Lösung hängt davon ab, welche Randbedingungen der Kette auferlegt werden. Man kann z.B. die Randatome festhalten oder frei geben. Wenn $n$ eine kleine Zahl ist, hängen die Lösungen stark von diesen Randbedingungen ab, wie man am Bsp. $n=3$ sofort klar ersieht.

Abbildung 4.6:
\includegraphics [width=6cm]{f415.eps}

Bei einer makroskopischen Anzahl $n$ muss der Einfluss der Randbedingungen auf die Schwingungsfrequenzen klein sein. Physikalisch kann man sich vorstellen, dass die Kette zu einem Kreis gebogen wird, wobei am $n$ Atom noch eine Feder angebracht ist, die es mit dem ersten Atom verbindet. Damit hat man den Rand eliminiert. Mathematisch bedeutet diese Biegung der Kette zu einem Kreis die Annahme periodischer (in der Fachliteratur auch Born-von Karman) Randbedingungen: $u(n) = u(n+N)$. Die Lösungen des DG Systems mit diesen Randbedingungen sind solche, die der Realität näher kommen sollten, weil sie Oberflächeneffekte auf die Festkörpereigenschaften eliminieren. Zur Lösung des DG Systems macht man den Ansatz $u(n) = A e^{i(q n a -\omega t)}$, wobei der Faktor $e^{i q n a}$ die $n$ Abhängigkeit der Auslenkung berücksichtigt. Durch Einsetzen des Ansatzes finden wir die charakteristische Gleichung

\begin{displaymath}
-m\omega^2 = k[e^{-iqa}+ e^{iqa}-2] = 2k [\cos(qa)-1]
\end{displaymath}

deren Lösung die möglichen Eigenfrequenzen der schwingenden Kette ergibt. $\omega(q) = 2\sqrt{k/m}\cdot sin (qa/2)$. Die Randbedingung bestimmt die möglichen Werte vom Parameter$q$: $e^{i q (n+N) a}= e^{i q n a}$, d.h. $e^{i q N a}=1$ oder $q N a = p \cdot 2\pi$, $p= 0, \pm1,\pm 2,...$. Die möglichen Schwingungszustände sind durch dicht nebeneinanderliegende $q$-Werte klassifiziert, jeder $q$ Wert trägt eine bestimmte Eigenfrequenz. Die gesuchten $N$ linear unabhängigen Lösungen können durch die $q$ Werte im Intervall $-\pi/a,\pi/a$ dargestellt werden.

Abbildung 4.7:
\includegraphics [width=5cm]{f416.eps} \includegraphics [width=5cm]{f417.eps}

Die Kopplung bewirkt, dass sich die Frequenz $\sqrt{k/m}$ des ungekoppelten Oszillators zu einem Frequenzband verbreitet. Jeder Frequenz kann ein $q$ Wert zugeordnet werden. Die $q$ Abhängigkeit von $w$ nennt man Dispersionsrelation. Die Eigenmoden, die zu den Eigenfrequenzen gehören, nennt man Phononen. Besteht die Kette aus Atomen mit unterschiedlichen alternierenden Massen, erwartet man mindestens zwei-Phononenbänder, die evtl. durch eine Lücke getrennt sind. Verbindungen wie $NaCl$ haben zum Beispiel zwei Phononenbänder: Das untere Band nennt man akustische Phononen, das obere sind die optischen Phononen. Einen optischen und akustischen Zweig bekommt man auch, wenn die Kraftkonstanten alternierend sind. Diese Resultate lassen sich auf dreidimensionale Kristalle erweitern. In drei Dimensionen, wird $q$ zu einem Vektor, der innerhalb eines Polyeders verteilt ist. Die Phononendispersionsrelationen können richtungsabhängig werden und einen komplizierteren Verlauf zeigen.

Abbildung 4.8:
\includegraphics [width=12cm]{f418b.eps}


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Kraeutler Vincent
2000-05-30